Jede Kultur hat ihre eigenen Mythen. So unterschiedlich wie diese sind, sind sie doch alle nach einem einheitlichen Bauplan verfasst: Wie auf einer inneren Landkarte durchlaufen die Held*innen ihr Abenteuer entlang bestimmter, typischer Stationen, die es ihnen ermöglichen, Schritt für Schritt ihr volles Potenzial zu entwickeln und zu einer nachhaltigen Veränderung zu gelangen. Für diesen Bauplan prägte die Literaturwissenschaft den Begriff der Heldenreise.
Dem Mythenforscher Joseph Campbell gelang es, diese Struktur herauszuarbeiten. Mit seiner Entdeckung wurde gleichzeitig deutlich, dass die Heldenreise mit ihren Stationen sehr detailliert beschreibt, wie wir Menschen uns entwickeln und wie Veränderung geschieht.
Die Mythen der Welt erfüllen daher eine wichtige Funktion: Sie erzählen uns, wie wir unsere Lebenskonflikte lösen; wie wir aus Engpässen und Krisen gestärkt hervorgehen, über Widerstände und Beschränkungen hinauswachsen und schließlich durch unsere Entwicklung zum Wohle anderer beitragen können.
Beispiele finden sich nicht nur in grauer Vorzeit. Denn seit Campbells Entdeckung ist die Landkarte der Heldenreise zum unverzichtbaren, bewusst eingesetzten Gestaltungsmittel geworden, das im Hintergrund von Blockbustern ebenso wirkt wie in den Erzählungen unserer Zeit.
Die Stationen einer Heldenreise
Am Anfang vernimmt der Held/die Heldin einen Ruf: Eine Sehnsucht, eine Vision bringen sie dazu, ihre gewohnte Welt zu verlassen und sich auf die Reise zu machen.
Unterwegs trifft sie GefährtInnen und Verbündete, sehr häufig eine MentorIn.
Der Held besteht einige Abenteuer und begegnet einer Gegenspielerin oder einem Widersacher, welche ihn daran hindern wollen, seine Mission zu erfüllen.
Schließlich kommt es zum Kampf oder zur Auseinandersetzung zwischen Held und Widersacher.
Nach dieser Konfrontation und einer Reihe von Prüfungen bekommt der Held eine Belohnung und kehrt zurück, gewandelt und mit neuen Kräften, die er zum Wohle aller einsetzen kann.
Paul Rebillot
US-amerikanischer Gestalttherapeut, Schauspieler und Dramaturg, griff diese Erkenntnisse auf und ergänzte sie durch einen psychologischen Aspekt: Die Erzählungen beschreiben den Weg des Helden nicht nur in der äußeren Welt, sondern sie geben auch Einblick in seine Psyche. Aufbauend auf den Erkenntnissen seines Freundes Joseph Campbell schuf er einen Workshop, dem er das Drehbuch der Heldenreise zugrunde legte.
Der Held, die Heldin – das bist du. Deinen Ruf nimmst du innerlich wahr, und die unbekannten Länder, die du bereist, liegen in deiner Seele. Auch dein Widerstand ist innen, und du musst dich mit ihm konfrontieren, um Zugang zu deinem inneren Reichtum zu erhalten.